Viele sehen aus wie Chiropraktoren – doch sind es keine.
Vielleicht hast du vor Kurzem bei einem Physiotherapeuten oder Heilpraktiker eine schnelle Wirbelbehandlung bekommen – mit einem hörbaren Knacken inklusive. Auf Social Media sieht man solche Behandlungen inzwischen ständig: schnelle „Adjustments“, deutliche Vorher-Nachher-Ergebnisse, zufriedene Patient:innen.
Doch hier ist der Haken: Viele dieser Behandlungen stammen nicht von ausgebildeten Chiropraktor:innen.
In Deutschland ist die Berufsbezeichnung „Chiropraktor“ nicht gesetzlich geschützt. Das bedeutet: Jeder darf diesen Begriff verwenden – unabhängig davon, ob eine fundierte Ausbildung absolviert wurde oder nicht. Das führt zu Verwirrung, verschwimmt die Grenzen zwischen den Berufen und kann im schlimmsten Fall die Qualität deiner Behandlung beeinflussen.
Als international ausgebildeter Chiropraktor, der heute in Deutschland arbeitet, möchte ich hier aufklären, was hinter diesem Trend steckt – und worauf du achten solltest, wenn es um deine Wirbelsäule geht.
Warum passiert das gerade jetzt?
Dafür gibt es mehrere Gründe:
Die Nachfrage nach schnellen Lösungen für Rücken- und Nackenschmerzen wächst. Chiropraktik ist weltweit bekannt dafür, mit gezielten Impulsen schnelle Ergebnisse zu liefern. Auch in Deutschland steigt das Interesse.
Der Begriff „Chiropraktik“ ist nicht geschützt. Das heißt: Auch wer nie ein Chiropraktik-Studium absolviert hat, darf sich so nennen oder entsprechende Leistungen anbieten.
Viele Physiotherapeut:innen und Heilpraktiker:innen machen Fortbildungen in manueller Therapie oder lernen Manipulationstechniken. Diese Kurse sind oft kurz, privat organisiert und inhaltlich sehr unterschiedlich. Sie ersetzen kein mehrjähriges Studium mit medizinischer Tiefe.
Social Media befeuert den Trend. Knack-Videos, spektakuläre Ergebnisse und kurze Clips mit vermeintlich magischer Wirkung gehen viral. Viele zeigen Behandlungen, die wie Chiropraktik aussehen – doch was fehlt, ist der klinische Hintergrund, die Diagnostik und die Entscheidung: Wann ist ein Adjustment wirklich sinnvoll und sicher?
Was ist der Unterschied zwischen den Berufsgruppen?
Physiotherapeut:innen absolvieren in Deutschland eine dreijährige Ausbildung, die sich auf Bewegung, Rehabilitation und Trainingslehre konzentriert. Zusatzausbildungen in manueller Therapie können einzelne Grifftechniken enthalten – aber chiropraktische Justierungen stehen nicht im Mittelpunkt.
Heilpraktiker:innen haben keine medizinische Berufsausbildung. Sie bestehen eine staatliche Prüfung, nach der sie eine Vielzahl alternativer Verfahren anwenden dürfen – darunter auch Wirbelsäulenmanipulationen. Ihre Ausbildung ist nicht einheitlich geregelt und sehr unterschiedlich in Tiefe und Qualität.
Chiropraktor:innen sind auf die Wirbelsäule, das Nervensystem und die Biomechanik spezialisiert. In Ländern wie Australien, Kanada oder den USA ist Chiropraktik ein eigenständiger Gesundheitsberuf mit einem intensiven Vollzeitstudium über 4 bis 6 Jahre, das Diagnostik, Neurologie, Radiologie und sichere Justierungstechniken umfasst.
Gibt es ein Chiropraktik-Studium in Deutschland?
Noch gibt es in Deutschland kein voll anerkanntes, international akkreditiertes Chiropraktikstudium. Es gibt aber erste akademische Angebote, z. B. an der Dresden International University, die einen Bachelor- und Masterstudiengang in Chiropraktik in Kooperation mit internationalen Hochschulen anbietet.
Das ist ein positiver Schritt – allerdings ist dieser Abschluss noch nicht weltweit gleichgestellt mit einem vollwertigen Studium an akkreditierten Einrichtungen in Australien, Kanada, den USA oder Großbritannien.
Viele Chiropraktor:innen, die heute in Deutschland praktizieren, haben ihre Ausbildung daher im Ausland absolviert – mit einem international anerkannten Abschluss wie dem Doctor of Chiropractic (DC) oder MChiro.
Warum ist das für dich als Patient:in wichtig?
Wirbelsäulenmanipulation ist eine kraftvolle Technik – aber sie ist nicht risikofrei. Wenn sie ohne ausreichende Ausbildung oder ohne vorherige Diagnostik angewendet wird, kann sie:
Beschwerden verschleiern oder falsch behandeln
kurzfristig helfen, aber langfristig keine Lösung bieten
im schlimmsten Fall zu Nebenwirkungen oder Komplikationen führen
Chiropraktor:innen sind speziell geschult, um:
medizinische Warnzeichen zu erkennen
differenzialdiagnostisch zu arbeiten
gezielte, sichere und effektive Justierungen durchzuführen
präventiv und langfristig an deiner Gesundheit zu arbeiten
Woran erkennst du eine seriöse chiropraktische Behandlung?
Bevor du eine Wirbelsäulenbehandlung buchst, solltest du folgende Fragen stellen:
Wo wurde Chiropraktik studiert?
Ist der Abschluss international anerkannt (z. B. DC oder MChiro)?
Gehört der Behandler einer Fachgesellschaft an (z. B. Deutsche Chiropraktoren-Gesellschaft – DCG)?
Sei vorsichtig bei Begriffen wie:
„Chirotherapeut“
„Manueller Therapeut“
„Heilpraktiker mit chiropraktischer Ausbildung“
Diese Begriffe sagen nichts über die tatsächliche Qualifikation im Bereich Chiropraktik aus.
Fazit
Dieser Artikel soll keine anderen Berufe schlechtreden. Physiotherapeut:innen und Heilpraktiker:innen leisten wertvolle Arbeit. Aber: Chiropraktik ist ein eigenständiger Gesundheitsberuf, mit spezifischem Fachwissen und klarer Ausbildung – und Patient:innen haben das Recht zu wissen, wer sie behandelt und wie gut diese Person ausgebildet ist.
Wenn du eine chiropraktische Behandlung in Anspruch nehmen möchtest, informiere dich gut, stelle Fragen und achte nicht nur auf das Knacken in einem Instagram-Video – sondern auf die Kompetenz hinter der Behandlung.